laura_nunziante

Feminismus in Frankfurt

Es ist in der heutigen Zeit nicht einfach die Frage zu beantworten, inwieweit eine Stadt in Sachen Feminismus aufgestellt ist. Ich lebe jetzt vier Jahre in Frankfurt am Main und kann mich - anders als in Berlin - nicht daran erinnern, dass ich hier auf penetrante Art und Weise mit dem Thema konfrontiert worden wäre.

Ich selbst bin ein Verfechter eines modernen Feminismus, einer, der sich selbst nicht zu ernst nimmt; der Gleichstellung anstrebt anstatt einer Höherstellung. Die Behauptung de Beauvoirs, wir würden nicht als Frau zur Welt kommen, sondern zu jenen gemacht, finde ich dennoch folgerichtig. Es ist in vielen Bereichen der Mann, an dessen Bewertungen wir uns messen. Die Buchhandlungen sind voll mit pinkfarbenen Feen-Geschichten für Mädchen und blau-grünen Fußball-Stories für Jungs. Der männliche Vorgesetzte beschwört in uns den Wunsch der Anerkennung einer Vaterfigur herauf. Bei Vapiano gibt es eine "Ladies Night" mit Modemagazinen und Sekt - statt mit Bier und "11 Freunde". Das alles sind Tools, die uns in eine Identität drängen, mehr noch als dass wir sie selbst wählen könnten.

In unserer pluralistischen Gesellschaft ist dennoch das Burschikose in der Weiblichkeit angekommen. Man bedenke die kürzliche Reinkarnation der Kurzhaarfrisur und der sich schon länger anbahnenden Institution der berufstätigen Frau. über 70 Prozent der 20 bis 64-jährigen Frauen sind in Deutschland berufstätig, damit sind wir im EU-Vergleich Spitzenreiter. Wir haben De Beauvoirs Theorien unbewusst verifiziert: Frauen können arbeiten; eine allzu zarte Weiblichkeit, deren Hände nur in einem Spülbecken gut aufgehoben sind, lehnen wir - als ein Konstrukt einer männlichen Elite - ab. Gleichwohl stimme ich der Theorie von Ronja von Rönne zu, die in der WELT schrieb, dass der moderne Feminismus zu aufgeregt mit seinen Thesen jongliere, die sowohl Frauen als auch Männer in ihrer Argumentation beschneiden.
Ich kann gleichermaßen über Männer- und Frauenwitze lachen. Ich kann von Rönne beipflichten, wenn sie sagt, dass wir selbst für unsere Gehälter verantwortlich sind und dies nicht Aufgabe der Politik ist. Das haben wir uns hart erkämpft - ohne diese Faktoren als Boni vom Staat zugeschrieben zu bekommen. Ich habe im Großen und Ganzen das Gefühl, mich vom Patriarchat emanzipieren zu können. Meine Leistungen bestimmen meinen Status und mein Gehalt sowie die Art, wie ich diese durchsetze. Ich bin kein Opfer des Systems, weil ich mich weigere eines zu sein. Dies entsteht meines Erachtens daraus, dass ich mich als Frau im Großen und Ganzen nicht untergeordnet fühle oder benachteiligt.

Aber es ist noch ein weiter Weg dahin, dass wir uns als geschlechtslose Wesen fortbewegen dürfen. Ich wünsche mir eine Welt, in der Mann und Frau selbst bestimmen, ob sie Kleider tragen oder Hosen und dafür nicht mit Blicken gestraft werden, auch wenn uns eine solche befremdet. Eine gesetzliche Regelung wäre kontraproduktiv und nur eine reglementierte Instanz dessen, was der menschliche Geist sich innerhalb der Gesellschaft und ihrer vorherrschenden Ethik selbst beibringen muss: Dass wir freiheitsliebende Wesen sind, die zu komplex sind, als dass sie äußerlich differenzierbar wären. Gleichheit wäre somit eine Entscheidung, die jeder individuell über sich und seinen Körper träfe, ohne dafür verurteilt zu werden. Wir würden dadurch wieder zu Individuen, uns aber im Anspruch auf eine freie Gesellschaft gleichen.

Es gibt Schattenseiten und Probleme, die mit den Forderungen de Beauvoirs auftreten. Mitunter fände ich zum Beispiel eine Welt ganz ohne Geschlechter kontraproduktiv und wenig inspirierend, besonders für den Bereich der Künste und der Psychologie. In diesen Feldern muss geformt und geforscht werden dürfen auf der Basis der Annahmen über die Geschlechter. Eine Vater-Tochter-Beziehung unterscheidet sich von einer Vater-Sohn-Beziehung. Eine Therapie schlägt nur an, wenn wir die Wurzeln allen Übels thematisieren: Dass es einen Unterschied macht, ob ich mich als Frau in einer überwiegend männlichen Peergroup als unterlegen oder gleichgestellt fühle. Dass es einen Unterschied macht, ob meine Vaterfigur mich gestützt oder gefordert hat. Es ist meiner Meinung nach nicht möglich, einen Menschen in all seinen Facetten zu betrachten, ohne seine geschlechtliche Herkunft zu Rate zu ziehen. Genauso wie eine Gesellschaft uns formt, wenn wir als Farbiger, Weißer oder Kleinwüchsiger in ihr leben. Dies ist gerade im Handwerk der Fiktion ein entscheidender Punkt der Charakterentwicklung: Die Art der Konfliktlösung ist abhängig vom Geschlecht des Protagonisten.

Die Entstehung des Feminismus - anders als die der Emanzipation - kann folgerichtig nur aufgrund der Spiegelung mit einem männlichen Gegenpart entstanden sein. Der traditionelle Feminismus sieht den Mann als Feind, während der moderne ihn als Spielpartner, möglicherweise als Supporter anerkennt. Der festgefahrene Feminismus will eine Gleichheit erzielen, die in unseren gesellschaftlichen Konstrukten vorerst nicht möglich ist. Sie will den Mann ausmerzen und das Weibliche hochloben.

Für den beruflichen Bereich gibt es Lösungsansätze. Im Beirat der Bundesbank Hessen gibt es eine Frau unter dreizehn weiteren Männern. Die Deutsche Bank mit Sitz in der größten Stadt am Main wird ausschließlich von Männern geführt. Die Frauenquote kommt in Frankfurt, wie in allen anderen Städten ab 2016. Ich versuche festzustellen, was sonst noch für den übereifrigen Feminismus in Frankfurt getan wird, der Stadt, der ich keinen übereifrigen Aktionismus in dieser Sache unterstellen würde. Und siehe da, es gibt eine feministische Partei Frankfurts, allerdings mit Sitz in Berlin, womit diese Frage geklärt wäre.

In der Wiege der Frankfurter Schule wird sich allerdings zumindest philosophisch auseinandergesetzt, das passt zum Image der Goethe Universität. Hier gibt es seit 2011 ein Projekt, das sich "feministische philosoph_innengruppe" nennt. Auf wissenschaftlicher Basis wird sich mit den Theorien unter anderem von Simone de Beauvoir befasst. Zentral ist die "queerfeministische Perspektive, mit der wir Theoreme analysieren, aber auch in die gegenwärtige Praxis der philosophischen Wissenschaft intervenieren." So die Aussage auf der Internetseite.
Das Netz gibt weitere Adressen preis, allerdings spielen sich diese zunächst in der Realität des Virtuellen ab, obgleich ich in der realen Welt Infoabende und Seminare besuchen könnte. Theoretisch. Denn hier sind sich die Geschlechter einig: Als Digital Native sind mir Web-Veranstaltungen, für die ich das Haus nicht verlassen muss, weitaus angenehmer.

Was ist es dann, das eine an festgefahrenen Feministinnen verzweifelnde Frau in dieser Stadt wirklich auf diese Themenabende lockt? Was spornt mich an, mich - neben der Lektüre von Simone de Beauvoir - umgehender mit dem Thema in Frankfurter Gefilden auseinanderzusetzen?

Ich fahre die Rolltreppe am Hauptbahnhof hoch. Neben mir sehe ich ein Plakat, darauf steht eine Frau im Bikini vor dem azurblauen Meer. Jemand hat mit einem Edding über ihren Körper geschrieben: "Nieder mit der sexistischen Kackscheiße!"
Ich frage mich, wie ein Unternehmen einen Bikini (Produkt) sonst bewerben sollte, als diesen in seiner natürlichen Umgebung zu zeigen. (Am Körper, am Meer) Ein gesunder Realismus wäre hier eine angemessene Forderung. Die Frau im Bikini (Produkt) dürfte zum Beispiel Orangenhaut haben und Speckröllchen von zu viel Schokomuffins. Diese Forderung liest sich nur halt nicht so interessant.

Ein paar Tage später sehe ich auf dem Plakat eine Antwort, direkt neben dem Edding-Manifest: "Mach mal halblang", steht da. In Berlin Friedrichshain-Kreuzberg gibt es bereits das erste Komitee, dass sexistische Werbung verbieten will. Und ich habe eine Antwort auf meine Eingangsfrage gefunden: Frankfurt begreift den Feminismus als das, was er ist. Nicht als schreienden Hype, sondern als ein Problem, das mit Geduld und Chuzpe angegangen werden muss. Eines, wofür wir alle kämpfen. Ob Mann oder Frau ist dabei nebensächlich.


Laura Elisa Nunziante, Juni 2015











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