laura_nunziante

Die Zange

Und es war jeden Tag dasselbe. Um fünf Uhr aufstehen, das Heu anmischen, los in die Ställe, dann der Gestank.
Früher, vor zwölf Jahren, als er angefangen hatte, da hatte er ihn noch als frischen Morgenduft bezeichnet. Heute war er sich da nicht mehr so sicher.

Er redete mit den Rindern. Jeden Morgen erzählte er ihnen einen Witz, den er in der Zeitung gelesen hatte. Kein Rind lachte.
Vielleicht war er mit den Jahren ein wenig verrückt geworden. Das zumindest hatte Leila ihm gesagt, als sie ihn von einer Tankstelle angerufen und ihm gesagt hatte, dass sie auf dem Weg nach Deutschland war.
Seine Rinder waren immer bei ihm geblieben. Obwohl das kein Wunder war, bei den engen Stallungen, die er für sie nach und nach hatte anbringen müssen.
Als er den Hof übernommen hatte, waren es weniger als zehn Rinder gewesen, heute waren es über siebzig. Er fütterte sie alleine, seit Leila nicht mehr da war.

"Kommt ein Rind in eine Bar und-", er stockte, hielt sich an dem Horn eines Tiers neben sich fest, "Hubért, wie ging der noch mal weiter?" Aber Hubért sagte nichts und er vergaß sogleich, dass er überhaupt einen Witz erzählen wollte.
Das Heu neigte sich dem Ende und seine Füße wollten ihn nicht mehr tragen. Gerade war die Sonne aufgegangen. Es war kurz vor acht. Ein ganzer Tag lag noch vor ihm.

Das Melken bereitete ihm die größte Freude, hatte es ihm als Kind schon. Mittlerweile half ihm zwar eine Maschine dabei, aber dennoch überwachte er den Vorgang sehr genau und strich dann und wann den Rindern über den Kopf. Haken machte er hinter den jeweiligen Namen der Tiere, auf Nummern verzichtete er ganz.
"Monique, das muss Morgen besser werden", sagte er gespielt streng. Nein, er konnte ihnen nicht lange böse sein.

Im Eingang des Hofes hing ein Bild seines Vaters, _Albert Rue_,
Albert Straße. Dabei hatte es seinen Alten nie auf die Straßen dieser Welt gezogen. Wenn er sich an seine Kindheit erinnerte, dann waren da immer nur die Rinder und der Geruch von Scheiße. In dunkelgrünen Gummistiefeln war er mit seinem Bruder über den Hof gelaufen, den ganzen Tag, und sie hatten viel gelacht. Daran erinnerte er sich jeden Morgen, wenn er die Ställe betrat und es half ihm über den Arbeitstag.

Er hatte sich nicht an den Protesten in der Stadt beteiligt.
Hatte keine Eier gegen Regierungsgebäude geschmissen. Hatte weder Autos angezündet, noch Heuballen auf großen Verkehrsstraßen ausgelegt. Er hielt es da wie sein Vater: wozu die Straßen dieser Welt sehen, wenn man jeden Morgen von einer Horde Rindern begrüßt wurde?
Außerdem war niemand da, der ihn auf dem Hof vertreten konnte.
Zu hoch der Verlust, der ein Tag außerhalb ihm einbringen würde.

Gegen acht Uhr betrat er wieder den Hof. Es war mittlerweile dunkel. Die Kälte wich ihm in den Kragen. Von draußen hörte er nichts mehr, nicht mal einen entfernten Wagen, der auf Ausflug war. Nur das Zischen des Windes zwischen den Türen.
Auf der Holzkommode sah er den Brief. Darüber hing die Waffe seines Vaters.
Dann ging er nach oben.


Laura Elisa Nunziante, June 2014











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