jakfar, arash


die ergriffenen
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In einer Nacht, die silbern über Bäume, Dächer und Straßen streifte, weckte ihn etwas Unbemerktes auf. Kein einziger Gedanke ging dem vor, was jetzt kam: Er stand auf, bewegte sich mit der Sicherheit, mit der er sonst vielleicht ein Glas Wasser zu sich nahm, zum offenen Fenster. Er stand zu allem mit einem ausholenden Gefühl bereit. Er zuckte nicht. Er schaute in die Tiefe, als es ihn schauernd wieder verließ.

Nun änderte sie sich für ihn, als er sich an einem unbeabsichtigten Platz wieder fand. Zuerst sah er unten die Hecke, dann fielen ihm die grauen Bordsteine darunter auf. Plötzlich sprang er zurück und flüchtete auf sein Bett. Etwas Endgültiges nahm er wahr und klammerte sich an die Worte in seinem Kopf: "Aufgabe kommt nicht in Frage.", während sein Körper - als ginge ihm der Umstand nichts an - regungslos in der Mitte seines Bettes saß. Dieser Anblick verharrte nun eine halbe Stunde, bis sein Klammern die Form einer Frage annahm: "Was war das?".

Eine Stimme, die ihrer Zunge nicht mehr sicher, rief von unten nach ihm: "Zeltmacher!", noch ein Mal: "Hey, alter!" Es kam nichts zurück.
Eine zweite Stimme aus einem schwankenden Boot: "Er hört nichts. Der Streber will...", Schritte, dann "...will nicht zu uns."
Der erste wieder: "Lass uns tanzen gehen." Endlich nahm er die Stimmen leise wahr.

Die Beiden besprachen sich, lachten, dann murmelten sie etwas und riefen gemeinsam nach dem Zeltma cher. Er sah auf sein Handy. Es war 01:00 Uhr Nachts. Die Beiden meldeten sich wieder. Der Zeltmacher stand auf und sah aus dem Fenster. Auf dem Parkplatz winkten seine Kumpels - Carlo und Massoud - während hinter ihnen eine Frau auf einer Bank in ein Gespräch vertieft war. Carlo drehte sich zu ihr und zog sie zu sich. Sie ließ es geschehen. Während an der Bank die umgestoßenen Weinflaschen für Geschrei und Lachen sorgten, rief Carlo ihren Namen - Sophia; sie wolle ihn kennenlernen. Stille. Vertieft in die Gedanken an das Ereignis zuvor stellte er sich lässig ans Fenster und schaute sich Sophia an. Hinten sprach und lachte Massoud mit den anderen. Es war dunkel, weshalb ihre Blicke für einander verborgen blieben. Er wurde neugierig: "Das sehe ich mir von Nahem an." Carlo daraufhin: "Beeil dich."

Er zog sich um und nahm dafür, was er in die Hände bekam. Seine Mitbewohner waren in der Küche. Er grüßte sie. Aus der Haustür raus, unten angekommen lief Massoud auf ihn zu und nahm ihn in der Bahn seines Sprunges mit. Sie landeten auf dem Rasen und schon waren sie im Schwitzkasten. Auf dem halb nassen Rasen rangelten sie sich. Sophia kam mit Carlo näher, hockte sich daneben und sah ihnen zu. Als der Zeltmacher dies merkte, wurde es ihm unangenehm. "Du Schwächling, der Anblick einer Frau macht dich weich wie Bu tter." Halb spottend, halb scherzend schubste Massoud ihn weg und stand mit unsicheren Beinen auf.

"Hi", er gab Sophia die Hand und stützte sich auf.
"So, ein Zeltmacher, der tanzt.", sie lächelte und sah ihn fragend an.
"Der Wind hat mich ergriffen; Wände lassen keinen Wind durch.", er zwinkerte ihr zu.
"Der Wind weht in der Gegenwart - wie verbindest du den Tanz damit?", er ließ keine Pause zu und redete in dem Fluss ihres Rhythmus: "Ich kann gar nicht anders - weil ich ergriffen bin."
Carlo kam zu Sophia, wo der Zeltmacher immer noch auf dem Rasen saß, und seine Stimme nahm einen Klang auf. Massoud fing an zu lachen. Die Anderen hörten gebannt zu. Fast unbemerkt tauchte der Klang dann in eine Frage ein. Es wurde still, auch Massoud wurde ruhig. Die Frage ließ Spuren zurück. Sie konnte sich jedoch nicht in Worte fassen.

Sophia kam zuerst zu sich, schenkte ein Glas Rotwein ein, nahm dann einen Schluck aus der Flasche und ging verspielt zu Carlo mit Worten: "Die Stimme ist beredt - der Körper ist hörig und die Freiheit gehört allein dem Tänzer." Carlo wirkte verwirrt. Der Zeltmacher rang mit sich - bekam aber Nichts heraus. Massoud lachte Sophia an und schwankte, als wollte der Boden ihn nicht mehr tragen wollen. Carlo schmunzelte, als Massoud anfing sich zu bewegen. Seine Schritte wirkten, als wären sie auf einem Boot, das der Ozean ärgern wollte. Sie wurden immer nervöser bis schließlich sein ganzer Körper floss und sich rhythmisch wog. Es gab keinen Stil. Massoud wechselte sich und trotzdem hatten alle Schritte etwas Geheimnisvolles miteinander gemein. Einmal trug er eine Last vor sich auf den Händen, ein anderes Mal glitt der Boden unter seinen Füßen wie Eis. Teilweise war es unklar wo er sich gerade befand. In einem Augenblick befand er sich auf dem Rücken - im nächsten wieder auf den Füßen oder auf den Schultern oder war es doch der Kopf? Jede seiner Bewegungen tauchte die Zuschauer in Gedankenwege und Gefühlsknollen, die sich leicht andeuteten.
Carlo kam sicheren Schrittes zur Tanzfläche. Er nickte vier Takte mit den Händen vor dem Mund. Die Töne stießen zu den Beats und Massouds Bewegungen erklangen im Raum - die Wege wurden bunt und die Knollen verbanden sich.
Dann kam der Applaus ihrer Freunde, sowie aus einigen Fenstern von oben.

Der Zeltmacher stand nun auf. Er wandte sich lächelnd zu Sophia. Sophia willigte ein. Carlo schaltete sein Handy an. Die Pärchen tanzten ungezwungen und wild durcheinander. Auch einige Studenten aus dem Wohnheim kamen später herunter. Es wurde Wein eingeschenkt, geschwatzt, geschwankt und getanzt.
Sophia fragte den Zeltmacher in den Schritten der Musik: "Was will der Wind?"
"Er will sich töten."
"Du lebst noch."
"Weht der Wind?"

arash, July 2014

Literatur:













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